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Von: Ragnar Hoenig
Anfang Juli 2020 haben Bundestag und Bundesrat das Grundrentengesetz verabschiedet. Es wird zum 1. Januar 2021 in Kraft treten und beinhaltet zwei wichtige Neuregelungen, nämlich die Grundrente für langjährig Versicherte und den Rentenfreibetrag in der Grundsicherung und in anderen bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistungssystemen. Im Folgenden beantworten wir Ihre Fragen zu diesen beiden neuen Sozialleistungen.
Allgemeine Fragen zur Grundrente und zum Rentenfreibetrag
Die Grundrente ist ein Rentenzuschlag für langjährig Versicherte. Sie soll gewährleisten, dass Versicherte nach Jahrzehnten der Versicherungspflicht, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen besser dastehen als diejenigen, die nicht oder nur wenig in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Nach Schätzungen der Bundesregierung sollen rund 1,3 Mio. Rentner*innen von der Grundrente profitieren, davon rund 70 Prozent Frauen.
Anders als die Bezeichnung „Grundrente“ vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um einen festen Mindestbetrag. Vielmehr berechnet sich die Grundrente auf Basis der Beitragsvorleistungen. Daher führt die Grundrente nicht zwangsläufig auch zu einer Rente über der Grundsicherung, deren Höhe vor allem von individuellen Bedarfen (z. B. Wohnkosten) abhängig ist. Gleichwohl schätzt die Bundesregierung, dass immerhin 45.000 Rentner*innen mit Hilfe der Grundrente aus dem Grundsicherungsbezug herausfallen werden.
Mit dem Rentenfreibetrag soll dafür gesorgt werden, dass auch diejenigen Einkommensverbesserungen erfahren, die trotz der Grundrente auf ergänzende Fürsorgeleistungen angewiesen sind (siehe oben). Bei bestimmten Sozialleistungen, wie z. B. die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, das Arbeitslosengeld II und Sozialgeld oder das Wohngeld, werden Einkommen angerechnet. Mit dem Rentenfreibetrag soll verhindert werden, dass die Grundrente als Einkommen angerechnet wird und zu einer entsprechenden Kürzung dieser einkommensabhängigen Sozialleistungen führt.
Die Grundrente muss nicht gesondert beantragt werden. Wenn man einen Rentenantrag stellt oder bereits eine Rente bezieht, prüft die Rentenversicherung automatisch, ob auch Anspruch auf eine Grundrente besteht.
Wer einen Grundsicherungsantrag stellt, weil die Rente nicht ausreicht, muss für den Rentenfreibetrag ebenfalls keinen gesonderten Antrag stellen. Die Grundsicherungsämter müssen den Rentenfreibetrag automatisch berücksichtigen.
Obwohl das Grundrentengesetz am 1. Januar 2021 in Kraft treten soll, sieht es momentan so aus, dass die Grundrente nicht sofort zu Jahresbeginn ausgezahlt werden kann. Betroffene werden – ähnlich wie bei der Mütterrente II – eine Nachzahlung erhalten. Grund für die Verzögerungen ist die komplizierte Einkommensanrechnung (siehe unten), die auf Grundlage eines automatisierten Datenaustauschverfahrens zwischen der Rentenversicherung und der Finanzverwaltung erfolgen soll.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund rechnet aktuell damit, dass die Bewilligung der Grundrente bei Neurentner*innen ab Juli 2021 erfolgen kann. Bei den Grundrentenberechtigten, die bereits eine Rente beziehen („Bestandsrentner*innen“), geht die Deutsche Rentenversicherung Bund davon aus, dass sich die Bewilligung bis Ende 2022 hinziehen wird.
Der AWO-Bundesverband bietet leider keine Rechtsberatung zu Fragen der Grundrente an. Bitte erkundigen Sie sich bei Ihrem AWO-Landes- oder Bezirksverband nach den Beratungsangeboten bei Ihnen vor Ort.
Alternativ können Sie sich auch an eine Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung wenden. Näheres hierzu erfahren unter: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Beratung-und-Kontakt/Beratung-suchen-und-buchen/beratung-suchen-und-buchen_node.html
Die Rentenversicherung hat eine Themenseite zur Grundsicherung erstellt. Diese finden Sie unter: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Grundrente/grundrente_node.html
Fragen zur Grundrente
Die Grundrente hat zwei Voraussetzungen:
- Es müssen mindestens 33 Jahre mit so genannten Grundrentenzeiten vorhanden sein.
- Der Durchschnittswert der so genannten Grundrentenbewertungszeiten darf einen bestimmten Höchstwert nicht überschreiten.
Zum Unterschied zwischen Grundrentenzeiten und Grundrentenbewertungszeiten siehe unten. Mit diesen beiden Voraussetzungen soll erreicht werden, dass die Grundrente nur langjährig Versicherten mit niedrigen Rentenansprüchen zugutekommt.
Zu den Grundrentenzeiten gehören insbesondere Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit sowie die Pflichtbeitragszeiten für die Kindererziehung und Pflege von Angehörigen. Außen vor bleiben insbesondere freiwillige Beitragszeiten und Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld I. Für die Grundrente müssen wenigstens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sein.
Grundrentenbewertungszeiten sind alle Kalendermonate mit Grundrentenzeiten, in denen mindestens 30 Prozent des Durchschnittsverdienstes erzielt wurden. Mit dieser Mindestgrenze sollen Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung von der Grundrente ausgeschlossen werden.
Die Grundrentenbewertungszeiten spielen für die Höhe der Grundrente eine wichtige Rolle. Damit die Grundrente nur Versicherten mit einem unterdurchschnittlichen Verdienst zugutekommt, wird der Durchschnittswert aller Grundrentenbewertungszeiten nur bis zu einer gewissen Höchstgrenze berücksichtigt. Diese Höchstgrenze liegt bei Versicherten mit 35 Jahren an Grundrentenzeiten bei einem Wert, der 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes entspricht.
Um „harte Abbruchkanten“ zu verhindern, sieht das Gesetz für Versicherte mit weniger als 35 Jahren, aber mindestens 33 Jahren an Grundrentenzeiten einen schrittweisen Einstieg in die Grundrente vor. In diesem Zeitkorridor steigt die Höchstgrenze für den Durchschnittswert aller Grundrentenbewertungszeiten schrittweise von einem Wert von 40 Prozent auf 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes an.
Die Grundrente berechnet sich in mehreren Schritten:
- In einem ersten Schritt muss der Durchschnittswert der Grundrentenbewertungszeiten berechnet werden.
- Dieser Wert wird in einem zweiten Schritt verdoppelt und gegebenenfalls auf den maßgeblichen Höchstwert (siehe oben) gedeckelt.
- Von diesem Wert wird in einem dritten Schritt der Durchschnittswert der Grundrentenbewertungszeit zunächst wieder abgezogen und der sich hieraus ergebende Wert um 12,5 Prozent reduziert. Hiermit soll das Äquivalenzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung gestärkt werden, also der Grundsatz, dass sich die Höhe der Beiträge bei der Höhe der Rente niederschlagen.
- In einem vierten Schritt wird der reduzierte Differenzwert mit der Anzahl der Kalendermonate mit Grundrentenbewertungszeiten multipliziert, höchstens aber mit 420 Kalendermonaten (also 35 Jahren).
Eine strenge Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Sozialhilfe oder „Hartz IV“ findet bei der Grundrente nicht statt. Aber nicht alle Rentner*innen mit einer niedrigen Rente sollen auch von der Grundrente profitieren. Rentner*innen, die zusätzlich zu einer niedrigen Rente über erhebliche zusätzliche Einkommen verfügen oder eine*n Ehepartner*in mit erheblichen Einkünften haben, sollen die Grundrente nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang erhalten. Deshalb sieht das Gesetz eine Einkommensanrechnung vor.
Zum berücksichtigungsfähigen Einkommen gehören das zu versteuernde Einkommen und die Einkünfte aus Kapitalvermögen. Auch der steuerfreie Teil der Rente gehört zum berücksichtigungsfähigen Einkommen. Andere steuerbegünstigten Einnahmen, wie zum Beispiel aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder aus einem Minijob, bleiben bei der Einkommensanrechnung hingegen außen vor.
Das berücksichtigungsfähige Einkommen wird nur angerechnet, soweit es bestimmte monatliche Freigrenzen überschreitet. Diese liegen bei Alleinstehenden bei 1.250 Euro und bei Verheirateten bei 1.950 Euro. Das berücksichtigungsfähige Einkommen, das diese Freigrenzen übersteigt, aber unter einem Betrag von 1.600 Euro bei Alleinstehenden und 2.300 Euro bei Eheleuten liegt, wird zu 60 Prozent von der Grundrente abgezogen. Das berücksichtigungsfähige Einkommen, das 1.600 Euro bzw. 2.300 Euro übersteigt, wird zu 100 Prozent angerechnet. Die Euro-Beträge sind dynamisch und verändern sich entsprechend der Rentenanpassung zum 1. Juli eines jeden Jahres.
Die Einkommensanrechnung erfolgt automatisiert, indem die Rentenversicherungsträger die bei den Finanzämtern vorliegenden Daten abrufen. Deshalb werden für die Einkommensanrechnung die Daten berücksichtigt, die jeweils bis zum 30. September für das vorletzte Jahr bei den Finanzämtern vorliegen.
Ja, die Grundrente gibt es auch für diejenigen Rentner*innen, die bei Inkrafttreten des Grundrentengesetzes am 1.1.2021 bereits eine Rente beziehen. Die Voraussetzungen und die Berechnung der Grundrente sind jedoch etwas anders geregelt.
Die Bundesregierung schätzt, dass die Grundrente im Einführungsjahr 2021 1,3 Mrd. Euro kosten wird und die jährlichen Kosten bis 2025 auf rund 1,6 Mrd. Euro ansteigen werden. Sie geht weiterhin davon aus, dass diese Mehrausgaben zu keiner höheren Beitragsbelastung führen, weil den Mehrausgaben ein entsprechend höherer Bundeszuschuss aus Steuermitteln gegenüberstehe.
Beispiel zur Grundrente
Gisela Müller war 40 Jahre ununterbrochen versicherungspflichtig beschäftigt. In den ersten vier Berufsjahren hat sie nur 25 Prozent des Durchschnittsverdienstes erzielt und in den folgenden 36 Berufsjahren 60 Prozent des Durchschnittsverdienstes. Ab dem 1.1.2020 bezieht Gisela Müller eine Regelaltersrente. Ihre Bruttorente beträgt rund 773 Euro. Aufgrund von weiteren steuerpflichtigen Bruttoeinkünften von 577 Euro kommt sie auf ein berücksichtigungsfähiges Einkommen in Höhe insgesamt von 1.350 Euro.
Gisela Müller kann 40 Jahre an Grundrentenzeiten vorweisen.
Von den 40 Jahren Grundrentenzeiten der Gisela Müller (siehe Frage II.2.) gehören 36 Jahre zu den Grundrentenbewertungszeiten. Die ersten 4 Jahre des Berufslebens gehören nicht dazu, weil sie hier weniger als 30 Prozent des Durchschnittsverdienstes erzielt hat.
Zur Ermittlung des Durchschnittswertes für die Grundrentenbewertungszeiten der Gisela Müller siehe Frage II.3.
Bei Frau Müller errechnet sich die Grundrente (vor Einkommensanrechnung) wie folgt:
- 1. Schritt: Die Grundrentenbewertungszeiten von Gisela Müller haben einen Durchschnittswert von 0,6 Entgeltpunkten. (Anmerkung: 1 Entgeltpunkt entspricht dem Rentenanspruch, den ein*e Versicherte*r für ein Beitragsjahr zum Durchschnittsverdienst erzielt. Gisela Müller kann 36 Jahre an Grundrentenbewertungszeiten mit jeweils 0,6 Entgeltpunkte belegen, siehe Frage II.3. Hieraus errechnet sich ein Durchschnittswert von 0,6 Entgeltpunkten, nämlich 36 x 0,6 : 36).
- 2. Schritt: Die Verdoppelung des Durchschnittswertes ergibt 1,2 Entgeltpunkte. Dieser Wert liegt über der Höchstgrenze von 0,8 Entgeltpunkten (= 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes) und wird daher auf 0,8 Entgeltpunkte begrenzt.
- 3. Schritt: Von dem begrenzten, doppelten Durchschnittswert (Schritt 2) wird der ursprüngliche Durchschnittswert (Schritt 1) wieder abgezogen, so dass sich hier 0,2 Entgeltpunkte ergeben (= 0,8 Entgeltpunkte – 0,6 Entgeltpunkte). Dieser Wert wird um 12,5 Prozent reduziert und ergibt 0,175 Entgeltpunkte.
- 4. Schritt: Der in Schritt 3 ermittelte Wert der Grundrentenbewertungszeit wird mit der Anzahl der Grundrentenbewertungszeiten multipliziert und ergibt einen Zuschlag von 6,3 Entgeltpunkten (= 0,175 Entgeltpunkte x 36 Jahre). Dies entspricht bis zum 30.6.2021 einem monatlichen Rentenzuschlag von 215,40 Euro (= 6,3 Entgeltpunkte x aktueller Rentenwert für 2020/21 in Höhe von 34,19 Euro). Auf diesen Rentenzuschlag wird Einkommen angerechnet (siehe Frage II.5.).
Gisela Müller verfügt über ein berücksichtigungsfähiges Einkommen in Höhe von 1.350 Euro. Hiervon sind 1.250 Euro anrechnungsfrei. Die verbleibenden 100 Euro werden zu 60 Prozent (= 60 Euro) von der Grundrente abgezogen. Die Grundrente reduziert sich damit von 215,40 Euro (siehe Frage II.4.) auf 155,40 Euro.
Fragen zum Rentenfreibetrag in der Grundsicherung
Der Rentenfreibetrag setzt voraus, dass die grundsicherungsberechtigten Personen mindestens 33 Jahre an Grundrentenzeiten haben. Grundsicherungsberechtigt sind Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, die entweder die Regelaltersgrenze zur Rentenversicherung erreicht haben oder die volljährig und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Weiterhin müssen sie hilfebedürftig sein, das heißt das vorhandene Einkommen und Vermögen muss niedriger sein als der existenznotwendige Bedarf.
Der Rentenfreibetrag besteht aus zwei Bestandteilen, einem Sockelfreibetrag und einem prozentualen Erhöhungsfreibetrag. Im Rahmen des Sockelfreibetrages bleiben die ersten 100 Euro der Rente anrechnungsfrei. Von der darüber hinausgehenden Rente bleiben im Rahmen des Erhöhungsfreibetrages weitere 30 Prozent anrechnungsfrei. Der Rentenfreibetrag beträgt insgesamt höchstens 50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1. Dies sind aktuell 216 Euro (bis 31.12.2020).
Die Mehrleistungen, die aus dem Rentenfreibetrag folgen, werden aus Steuermitteln finanziert. Die Bundesregierung schätzt, dass 200.000 Personen von dem Freibetrag profitieren und die Kosten im Einführungsjahr 2021 knapp 440 Mio. Euro betragen werden. Auf der anderen Seite rechnet die Bundesregierung mit Einsparungen von 200 Mio. Euro in der Grundsicherung, weil einige Rentner*innen durch die Grundrente aus dem Rentenbezug herausfallen werden.
Beispiel zum Rentenfreibetrag
Weil Inge Maier 33 Jahre an Grundrentenzeiten vorweisen kann, erhält sie ab dem 1.1.2020 eine Rente (einschließlich Grundrente) von 400 Euro. Ihr existenznotwendiger Grundsicherungsbedarf (einschließlich der Wohnkosten) beträgt allerdings 800 Euro. Deshalb beantragt Inge Maier Grundsicherung.
Eigentlich müsste die Rente von Inge Maier auf den Grundsicherungsbedarf von 800 Euro angerechnet werden, so dass der Grundsicherungsanspruch 400 Euro beträgt. Allerdings wird ein Teil der Rente von Inge Maier im Rahmen des Rentenfreibetrages anrechnungsfrei gestellt. Die ersten 100 Euro sind anrechnungsfrei. Von den darüber hinausgehenden 300 Euro bleiben 30 Prozent also 90 Euro anrechnungsfrei. Insgesamt beträgt der Rentenfreibeitrag 190 Euro, so dass von ihrer Rente nur 210 Euro berücksichtigt werden. Sie erhält daher nicht nur 400 Euro Grundsicherung, sondern 590 Euro. Zusammen mit Ihrer Rente verfügt sie damit über ein Gesamteinkommen von 1.090 Euro.